Deutsche Universitäten – 200 Jahren im selben alten Geiste verblieben

Für die höheren Stände, denen die Mittel der Kultur ganz
zu Gebote standen, schien zwar das Ideal harmonischer
Ausbildung aller intellektuellen und moralischen Fähig –
keiten hinlänglich entdeckt zu sein. Allein eben durch die
gwählten Mittel ( recht systematisch das Ideal zu erreichen )
ging fast bei Allen,
welche auf dieser Bahn fortgestoßen
wurden, die
Einigkeit des großen Lebens und des hohen
Gefühls
verloren. Meistens lief nun Alles auf Vielwissen 
und Emporkommen hin.
Aus den hohen Schulen wurden Dressiranstalten, und
da sich der Sinn für vaterländische Ehre und Freiheit,
für wahre Gesetzlichkeit und Fürstenliebe nicht an –
dressiren läßt, so ging aus dem Vielwissen und viel
Schwatzen nichts als eine geistlose Masse hervor,
welche gleichfalls nur der Hebel des gewinn – und
genußsüchtigen Erwerbgeistes insoweit berührt, daß
sie nicht in völlige Stagnation gerieth. Jeder wollte
erhalten und genießen, nicht mit großem Geiste nur
etwas wagen und dulden ; nicht mit großer Gefahr
auf etwas Neues und Kühnes sinnen. Kurz, die Bild –
ung und Aufklärung der höheren Stände lief darauf
hin, das matte und schlaffe Leben seinen ebenen
Gang so fortschlendern zu lassen, daß der Genuß
nicht gestört werde. Die Schlaffheit der Geister
ward jedoch unter hochtönenden Worten, als da
sind : Toleranz, Liberalität, – und besonders Hu –
manität versteckt. Was also in Wahrheit als siche –
res Zeichen der Geistesknechtschaft erschien, sollte
als Beweis hoher Geistesfreiheit gelten !

Dr. Carl Venturini,  1816